Verteidigung des Federgeistchens: Über Ökologie und über Ökologie hinaus

Dahl, Jürgen
Natur und Kultur, Jg. 7/2 (2006), Seiten 79-93

Im ökologischen Verständnis der Blattlaus spielt die Marienkäfer-Larve die Rolle des höchst unerwünschten Todfeindes, während sie, eben wegen ihres Appetits auf Blattläuse, dem ‘ökologisch’ denkenden Menschen als willkommene Helferin gilt. Die Frage, wer mit seiner Einschätzung der Marienkäfer-Larve eher im Recht wäre, lässt sich nicht mit Hilfe der Ökologie beantworten, denn die Ökologie sagt nichts über das Recht eines Lebewesens, in seiner Umwelt zu überleben, sondern skizziert nur die Muster der Abläufe, innerhalb derer dieses Überleben gelingt – oder scheitert. Nicht an unseren fadenscheinigen Detailkenntnissen hätte sich unser Handeln in der Natur zu orientieren, sondern an unseren Unkenntnissen; da ließe sich der gröbste Unfug, zu dem die Kenntnisse missbraucht werden, vielleicht vermeiden. Nimmt man die Unwissenheit zum Maßstab, die Unfassbarkeit der vielfältigen Zusammenhänge, die Unermesslichkeit der niemals ganz aufzudeckenden Lebensbezüge, dann verschwindet das dürre Gerüst ökologischer Regelwerke und Diagramme und Stoffbilanzen hinter dem Bild des großen unbegreiflichen Gartens.

Erwachen zur Wirklichkeit als Lernprozess:
Erkenntnisse aus der empirischen Forschung zur Moralentwicklung und aus der Umweltbildung

Nevers, Patricia; Dittmer, Arne
Natur und Kultur, Jg. 4/2 (2003), Seiten 48-67

Um Teilen der nicht-menschlichen Natur oder der gesamten Natur einen Eigenwert zuzusprechen, muss die Wirklichkeit und Autonomie nicht-menschlicher Natur wahrgenommen und verinnerlicht werden. Hierfür ist zunehmend tiefe und zugewandte Wahrnehmung frei von Gedanken an Eigennutz erforderlich. Die Entwicklung entsprechender Wahrnehmungsfähigkeiten erfolgt mittels eines Prozesses, den Robert Spaemann als „Erwachen zur Wirklichkeit” bezeichnet. Da die Anerkennung von Eigenwert in der nicht-menschlichen Natur den Ad-hoc- Intuitionen vieler Menschen heutzutage widerspricht, verlangt das Programm des Erwachens zur Wirklichkeit ein Umdenken und Umlernen. Im vorliegenden Artikel werden Anhaltspunkte für einen solchen Lernprozess zusammengefasst, die sich aus der bisherigen Forschung zur Moralentwicklung und aus der Umweltbildung ergeben haben.

Meditationen über Steine – eine holistische Perspektive

Stähli, Fridolin
Natur und Kultur, Jg. 2/2 (2001), Seiten 99-110

Was die alternativen Umweltethiken im Kern letztlich fordern, ist eine neue Wahrnehmung, eine neue Sicht auf die Natur und auf uns selbst, mehr Achtsamkeit, Respekt und Wachheit, mehr Grosszügigkeit, Offenheit und Mitgefühl gegenüber allem, was lebt und ist. Ich bin besorgt um mich selbst, um die anderen (Familie, Freunde, Fremde), um alles Lebendige (Tiere und Pflanzen) und alle natürlichen Erscheinungen (Elemente, Steine) und Ganzheiten, kurz um alles Sein im Werden und Vergehen. Könnten wir es nicht als die Lebensaufgabe von Menschen sehen, sich in eine Bewusstseinsverfassung ‘hineinzupraktizieren’, in der es selbstverständlich ist, nicht Beherrscher, sondern Behüter zu sein?